Den Toten zuhören
Antonino Cardillo
Architektur ist für die Toten gemacht. Ihre Existenz ist ein Rätsel. Sie wird selten von jenen bewohnt, die sie in Auftrag geben. Oft sind die Zwecke, die ihren Bau bestimmen, bescheiden, und ihre Zukunft in der Welt der Dinge ist stets ein Geschehen. Auftraggeber, Orte und Gesetze sind die Umstände, mit denen der Eidos spricht oder ringt, um in das Bild der Welt einzutreten. Doch vor allem ist Architektur der Ort, an dem die Toten zu den Lebenden sprechen. Jung schreibt im Das Rote Buch:
Es gibt ein notwendiges, aber verborgenes und einzigartiges Werk, ein Meisterwerk, das du im Geheimen vollbringen musst – um der Toten willen. […] Blicke nicht zu weit voraus; blicke vielmehr zurück und in dich hinein, damit du das Hören auf die Toten nicht versäumst.
Kurz vor seinem Tod vertraute mir Paolo Portoghesi an, dass er in den 1960er-Jahren gemeinsam mit seinem damaligen engen Freund Bruno Zevi dem italienischen Nationalen Forschungsrat (CNR) ein Projekt für ein nationales Forschungsprogramm vorgelegt hatte, das eine Integration akademischer Studien in Architektur und Psychologie vorsah. Dieses Projekt sollte auf der Tiefenpsychologie gründen und, so seine Worte, einen „hohen Ton“ haben – fähig, die Anerkennung einer Verbindung zweier Kräfte zu verkörpern: Architektur und Psychologie. „Die Arbeit, die Zevi und ich hätten leisten können, wäre gewesen, ihr diesen jungianischen Stempel zu geben – sagte Portoghesi –, denn es ist Jung, der den eigentlichen Anstoß gegeben hat.“ Der CNR lehnte den Vorschlag ab. Wenige Jahre später kam es zu einem heftigen Zerwürfnis zwischen Portoghesi und Zevi, das die architektonische Debatte ihrer Zeit in die reduktive Gegenüberstellung von modern und postmodern polarisierte. Laut Nietzsche ist die Geschichte der Tatsachen ein grässlicher Zufall; laut Lessing ist Geschichte „die Sinngebung des Sinnlosen“.
Dieses kurze Vorspiel möchte daher den „Gedanken des Herzens“ unseres Seminars einführen. Unser Symposium wird sich in drei Gesprächsbewegungen gliedern:
- Das Reich der ambivalenten Dämmerung
- Die Geschichtlichkeit der Seele und Faktizität
- Schönheit als sinnliche Epiphanie der Psyche
Jede dieser Bewegungen wird durch kurze Reflexionen begleitet, die die Momente eines imaginierten Gartens bilden – als Versuch, jenem unterbrochenen Wunsch zwischen Portoghesi und Zevi eine Fortsetzung zu geben.