Cardillo

Architektur

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Schöner Klonen

Wien, 


Peter Reischer argumentiert über das Phänomen der simulierten Realität der imaginären Häuser des Architekten Antonino Cardillo in der Falter




Falter



Kritik


Wenn Celebrities geschönt und verschlankt werden und auf einem tollen Architekturfoto für ein Hochglanzmagazin ein am Seitenrand störender Balken oder Blumentopf wegretuschiert wird - das ist es ja noch irgendwie verständlich und akzeptabel, abgesehen davon dass der normalsterbliche Betrachter es gar nicht merken wird.

2010 wurde von der regierungsnahen ägyptischen Zeitung Al-Ahram auf einer Aufnahme von den Friedensgesprächen im dem Weißen Haus Präsident Obama einfach durch damals noch amtierenden Präsident Mubarak ersetzt. Doch derSchwindel flog auf. Der italienische Architekt Antonino Cardillo überflutet seit einiger Zeit die internationale Medienszene mit Berichten über seine Bauten. Architekturmagazine erhalten ständig Zusendungen mit wunderschönen Bildern und Projektbeschreibungens seiner neuesten Werke: Einfamilienhäuser in Japan, Italien, England, Spanien, Frankreich, Marokko, Australien … Alles sehr interessant wirkende Architekturen, skulpturhaft und in tolle Lichtstimmungen getaucht. Perfekte Darstellungen einer Ideologie die sich - so die Selbstbeschreibung des Architekten - mit der Verbindung der mediterranen Kultur und dem Mythos des Nordens durch das Licht beschäftigt. Über der Bucht von Osaka, Japan, hat Antonino Cardillo jüngst ein Einfamilienhaus realisiert, ‚das auf einen Dialog zwischen europäischen und japanischen Raumtraditionen zielt.‘ Das sehr realistisch wirkende Haus ist das ‚Nomura House‘ in Osaka. Das Projekt ist in ‚build - Das Architekten Magazin‘ ausführlich beschrieben (www.build-magazin.com). Man sieht eine! Aussenaufnahme und viele Innenraumfotos. Wahrscheinlich hat das Gebäude nur eine Seite. Ein Mail an die Bauträgergesellschaft in Japan, der Nomura Koumuten Corporation in Osaka brachte bis heute keine Antwort. ‚build - Das Architektenmagazin‘ widmet Cardillo in der neuesten Ausgabe Platz für ein ausführliches Gespräch mit dem Chefredakteur Ralf F. Broekman und Olaf Winkler (das zweite übrigends schon in seiner steilen Karriere). Hier sagt er unter anderem, dass er gerade ein postmodernes Cafe für das Victoria and Albert Museum, London entwirft. Diese Tatsache taucht auch auf der HP des Architekten auf. 2009 wurde er vom ‚Wallpaper‘ Magazine unter die 30 besten jungen Architekten gewählt. Auf der Homepage von Wallpaper ist in diesem Zusammenhang ein Foto eines ‚temporary‘ Sergio Rossi Shops‘ in Milano zu sehen, designed und fotografiert von Cardillo. Im Februar 2010 brachte das deutsche Magazin H.O.M.E. einen 8-seitigen Bericht über sein ,House of Convextities‘. Es soll 2008 vollendet worden sein und steht in der Nähe von Barcelona in Spanien. Den Auftraggeber hält der Architekt geheim. Die Redakteurin Judith Jenner sprach mit ihm - das Interview ist auch auf der Homepage von Cardillo nachzulesen (hier ist der Artikel übrigends 11 Seiten lang) - und ist überzeugt, dass Cardillos Interpretation des Flamenco („Wenn Architektur Musik in Stein íst, können ihre Glieder tanzen?“) in diesem ,Spiel von Licht und Schatten‘ im ,House of Convexities‘ ihre Entsprechung findet. 2011 erst hat er ein Einfamilienhaus in England, Pembrokeshire fertiggestellt. Das ‚Purple House‘, mit einer Bauzeit von 2009 - 2011. Es gibt Pläne, Axos, Schnitte, Materiallisten, Angaben der verwendeten Inneneinrichtungsgegenstände wie Lampen und Sofas. Über den Auftraggeber schweigt der Architekt nobel. Auf die Frage, ob er bei seinen Projekten mit lokalen Arbeitnehmern zusammenarbeite sagt er: „About construction, I am used to work with local labour.“ In einem asiatischen Magazin gibt er eine Analyse der Architektur Zaha Hadid‘s zum besten - er führt ihre Formen auf den Einfluss der sowjetischen Revolutionsarchitektur zurück. Was würde die ‚Grande Dame‘ der Szene wohl dazu sagen? In einem anderen Magazin spricht er über seine Leidenschaft für die Bauten von Frank Lloyd Wright und Frank Ghery sowie Mies van der Rohe. Absolut authentisch, wie wenn er sie alle gekannt hätte. Er hat offensichtlich viel gelesen, denn in seinen Schriften zitiert er Goethe („Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele; hier ist erst der Schlüssel zu allem.“), spricht in seinen Interviews über den Humanismus und die Geschichte wie ein großer Philosoph, macht einen Bogen von der Antike über den Zerfall der Sowjetunion bis zum Städtebau und den Problemen der Jetztzeit. Ein Besuch auf der Homepage (www.antoninocardillo.com) dieses Architekten bringt allerdings seltsame Dinge zu Tage. Zunächst einmal wird man von einer ‚psychedelic music‘ (Pink Floyd lässt grüßen) empfangen und und dann auch verfolgt (nur Ton abschalten hilft). Die Homepage ist perfekt aufgebaut und in 28! verschiedenen Sprachen abrufbar. Essays, natürlich eine ausführliche Liste mit gezählten 27 Projekten (fast alle ausgeführt), Referenzlisten, Pressespiegel (hier sind 98! zum Teil internationale Magazine aufgeführt die alle über ihn geschrieben haben), Videos, Kataloge, Preise und Auszeichnungen, facebook, twitter, tumblr, linkedin sind vernetzt. Das dürftigste an seinem Webauftritt ist die Biografie (wohl absichtlich), hier erfährt man nur, dass er 1975 in Erice, Sizilien (deshalb das Goethe Zitat) geboren ist. Irgendwo taucht ein ‚degree‘ auf, und das er unter/bei der Architekturkritikerin und Historikerin Antonietta Iolanda Lima (ital. Architektin) in Palermo studiert hat. Nichts wird über einen Abschluss oder ein Diplom erwähnt. 2004 übersiedelte er von Sizilien nach Rom und eröffnet dort ein Büro. Eine physische Adresse für sein Atelier ist nicht auffindbar, der Kontakt zu ihm kann nur über Mail erfolgen. Wenn man sein auf der HP abrufbares Portfolio betrachtet, fällt folgendes auf: Es sind durchwegs perfekte Fotos von Architekturprojekten samt den entsprechenden - in der typischen verqueren Architektensprache formulierten - Analysen und Beschreibungen der Projekte zu sehen. Wenn man allerdings die Bilder bei 200% Vergrößerung betrachtet sieht man, dass es Renderings, Visualisierungen sind - nichts Echtes, nichts Gebautes also. Zwar absolut meisterlich gemacht, aber trotzdem nur fake. Unter jedem Projekt findet sich eine Liste der Magazine (größtenteils wiederholen die Namen sich), in denen es schon veröffentlicht war: H.O.M.E./ Berlin ist noch das bekannteste, aber dann kommen die Exoten - Home India Today/ Mumbai, Entremuros/ Mexico City, Going Places/ Malaysia Airlines, Design/ Beirut, Landscape Design/ Beijing, DFUN/ Taiwan, The Outlook Magazine/ Hong Kong.

Die PDFs, die zu jeder Veröffentlichung abrufbar sind, öffnen sich problemlos, die Seiten sind glatt, ohne den üblichen Bug und Schatten vom Einscannen. So perfekt als ob sie extra gelayoutet wären. Sie entsprechen auch gar nicht einem üblichen Magazinlayout sondern wirken eher wie reine Internetpräsentationen. In den meisten Artikeln sind seitengroße Portraits des Architekten Cardillo integriert: Unrasiert, offener Hemdkragen, mit melancholischem Fernblick, also ganz standesgemäß inszeniert. Eine Zusammenarbeit mit dem London Design Festival wird angedeutet, ebenso wie eine Beteiligung an der 4th International Architecture Biennale of Rotterdam und der Artindex of St-Petersburg und natürlich das schon o.e. Postmoderne Cafe für das Victoria and Albert Museum, London. Allerdings ist im Web kein Hinweis dafür zu finden, das dem Entwurf auch ein Auftrag zu Grunde liegt. Fast in jedem europäischen Online Architekturmagazin tauchen seine Werke als zwischen den Jahren 2006 - 2011 fertig gestellte Häuser auf. Bei den Factsheets stehen Baukosten, Quadratmeter, Materialien, Einrichtungsfirmen usw. Als Fotograf firmiert immer Antonino Cardillo. Kein einziges seiner angeblich gebauten Projekte ist mit ‚echten‘ Fotos belegt. Auf eine per Mail gesandte Anfrage und den Hinweis, dass die dargestellten oder übermittelten Architekturfotos gar keine Fotos sondern Renderings seien, erhält man die lapidare Antwort: „I am an artist and as an artist I manipulate reality! That‘s it!“

House of Convexities

Antonino Cardillo, House of Convexities, Barcelona, 2008.





Referenz

  • Peter Reischer, „Schöner Klonen“, Falter, Nr. 19/12, Vienna, 9. Mai 2012, S. 30‑31.