Cardillo

Architektur

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Phantasie und Wirklichkeit

Zürich, 


Gabriele Detterer argumentiert über das Phänomen der simulierten Realität der imaginären Häuser des Architekten Antonino Cardillo in der Neue Zürcher Zeitung




Neue Zürcher Zeitung



Kritik


In der Gegenwartsarchitektur verschwimmen die Grenzen zwischen virtuellen Darstellungen und realer Architektur immer mehr. Nun nutzt der junge italienische Architekt Antonino Cardillo digitale Bilder, um in den Medien Gebautes vorzutäuschen.


Dass er es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, sieht man Pinocchio an der langen Nase an. In Wirklichkeit ist es bekanntlich nicht so einfach, Flunkerkönige zu identifizieren. Schon gar nicht in der digitalen Netzwelt. Manch einer schafft es sogar, sich im Web mit getürktem beruflichem Erfolg eine beachtliche mediale Präsenz aufzubauen. So geschehen im Falle des 1975 auf Sizilien geborenen Architekten Antonino Cardillo. Der junge Sizilianer nutzte die im digitalen Zeitalter verschwimmenden Grenzen zwischen real Gebautem und virtuellen Darstellungen für die Beschleunigung seiner Karriere.



Star der Trendmagazine

Mittels 3-D-Technologien simulierte Cardillo Ansichten von geplanten Gebäuden und gab computergeneriertes Bildmaterial als nach seinen Entwürfen erbaute Architektur aus. Es fragt sich, warum Architektur- und Designzeitschriften wie «Wallpaper», «H.O.M.E» und «Build» die Flunkerei nicht erkannten oder die Täuschung durchgehen liessen. Ist es die Konkurrenz, die dazu antreibt, nonstop Hochglanzbilder mit spektakulärer Architektur und ausgefallenem Interior-Design zu produzieren? Oder der Drang, aus der Masse junger Kreativer aussichtsreiche Talente zu selektieren?

Den Startschuss zu Cardillos unglaublicher Karriere lieferte «Wallpaper». Das Trendmagazin katapultierte ihn 2009 in die «World’s Top»-Liste der dreissig talentiertesten Jungarchitekten. Von da an lief es medial rund für den ideenreichen Italiener. Nur fehlten ihm Auftraggeber für Wohnhäuser, als das bis heute einzige tatsächlich erbaute Gebäude, «Nomura 24» (Osaka, 2009), vollendet war. Fix erfand der Schlaukopf Orte, an denen er seine skulptural geformten Entwürfe in die Höhe wachsen liess. Auftraggeber mogelte er dazu. Ihre Namen freilich wollte er nicht preisgeben. Die Strategie der Geheimniskrämerei in wohlklingende Worte kleidend, fabuliert Cardillo auf seiner Website: «Manchmal ist Architektur umso interessanter, je mehr sie unsichtbar und verborgen bleibt.»

Kühner werdend, wagte es Cardillo 2010, auf den Seiten des Designmagazins «H.O.M.E.» ein Wohnhaus in Barcelona, das seiner Phantasie entsprungen war, zur Besichtigung freizugeben. «Ein Haus wie ein Tanz. Antonio Cardillos Gebäude gewordener Flamenco», so betitelte das Magazin die Reportage. Blühende Phantasie genau zu verorten, erwies sich als ein Fehler. Denn so indifferent die Zeitschriftenmacher hinsichtlich der Unterscheidung von real oder vorgetäuscht waren, so aufmerksam sollte der österreichische Architekt und Publizist Peter Reischer die «Fotografien» unter die Lupe nehmen und im Wiener Stadtmagazin «Falter» als Wunschbilder enthüllen. Welche Blamage! – zumal das Wochenmagazin «Der Spiegel» nachsetzte und die Hochstapelei jüngst ebenfalls genüsslich ausleuchtete.

Grund genug, bei Antonino Cardillo direkt nachzufragen, wie er sich denn jetzt fühle. Die Enthüllung fechte ihn nicht an, behauptet er. Er sieht sich keinesfalls demaskiert und dreht den Spiess urplötzlich um: Er habe die Manipulationstechniken der Medien einfach gegen diese gerichtet. Eine «intellektuelle Wette» um Auftraggeber, die er als «illuminati» charakterisiert, sei das Ganze gewesen, so redet er sein Fehlverhalten schön und hängt sich das Mäntelchen eines Künstlers um, der seiner Phantasie freien Lauf lassen kann. Im Übrigen sei Architektur schon immer auch ephemer und «virtuell» gewesen, erklärt er. Von Palladio bis Schinkel, von Sant’Elia bis Mies van der Rohe hätten Baukünstler mit Ideen in Form von «Surrogaten» die Architekturentwicklung beeinflusst und die Realität verändert.



Keine Reue

Das Verschmelzen von Architektur und Kunst war in der Tat auch ein Kunstgriff der Utopisten der 1960er Jahre. Die in Florenz in den 1960er Jahren entstandene Architettura radicale schuf real wirkende Bilder visionärer Architekturlandschaften. Betrachtet man Collagen des «Monumento continuo» von Superstudio (1969), dann findet sich die klare Trennung zwischen Wirklichkeit und Vision aufgeweicht. Nur, und das ist der springende Punkt, Simulationen wurden und werden immer noch ausdrücklich als «Projekte» und virtuelle Artefakte deklariert.

Wie wird es mit Antonino Cardillo weitergehen? Er erscheint als Gefangener eigener Sehnsüchte und Traumwelten und beweist, dass mit der Ablösung des Handwerks kreativer Formgestaltung und dem Siegeszug der Computertechnologien nicht nur die Sensibilität für stoffliche Materie verloren geht, sondern auch der Realitätsbezug. CAD-Software und 3-D-Design machten es dem raffinierten Selbstvermarkter leicht, mit Schummelei der Begrenztheit seines Aktionsradius und seiner beruflichen Aussichten zu entfliehen. Er habe mit seiner Strategie weit entfernte Knotenpunkte der Netzwelt erreichen wollen, sagte er. Diese Absicht verweist auf die Gefahren einer über den Bildschirm laufenden, permanenten Remote-Kommunikation, welche die Notwendigkeit gelebter beruflicher Erfahrung auf der Basis von direktem Austausch und Kooperation, einschliesslich ihrer Korrektive, unterläuft.

Dass dieser Betrug von einem italienischen Nachwuchsarchitekten inszeniert wurde, ist wohl kein Zufall. Cardillo erzählt, wie aussichtslos es in Italien sei, sich als junger Architekt sein Brot zu verdienen, ohne ein Empfehlungsschreiben in der Tasche zu haben oder sich als «Sohn von…» ausweisen zu können. Einen Freibrief dafür, Lügenmärchen zu erzählen und mit simulierten Bildern Realität vorzutäuschen, verschafft diese in Italien tatsächlich existente Misere jedoch nicht. Gleichwohl ist Cardillo zugutezuhalten, dass er mit seinen Machenschaften ungewollt ein Licht auf eine bei Hochglanzmagazinen sich ausbreitende Unsitte geworfen hat: Diese stellen nämlich immer öfter Bauten vor, die ihre Berichterstatter nie mit eigenen Augen im Original gesehen haben.

Purple House

Antonino Cardillo, Purple House, Pembrokeshire, 2011.





Referenz